Schiebe Ebene
Um einen Sack Zement in den vierten Stock zu wuchten, kann man das Ding am Flaschenzug hochziehen,
auf den Puckel nehmen oder wie einst der Pyramiden-Sklave über eine Rampe bewegen. Diese Rampe ist
das, was als „schiefe Ebene“ in die Geschichte der Technik Eingang fand und ohne die heutzutage Autos,
Mikrowellenherde, Katjuscha-Raketen und Aspirin-Tabletten undenkbar sind.
Sie ist das Wundermittel, das die Arbeit leicht und das Gewinde möglich macht. Im Gewinde-Fall ist die
Rampe jedoch nicht grade, sondern krumm und aufgewickelt. Noch dazu hat sie eine bestimmte Steigung
und eine ganz besondere Form. Und all diese Unterschiede treiben den Anwender von heute manchmal
zur Verzweiflung.
Früher war alles besser: In grauer Vorzeit schnitzte jeder Dorfschmied je nach Lust und Laune eigene
Gewinde zurecht, so dass dieser gute Mann im Reparaturfall seine selbst geklöppelten Schrauben und
Muttern wieder als „master“ für das Gegenstück benutzen musste, wenn mal was kaputt war.
Untereinander kompatibel war nix – das sorgte für volle Auftragsbücher und ist heute in vielen
Kreismuseen zu besichtigen.
Um in späteren Jahren die Volkswirtschaft auf Leistung und Kriegstauglichkeit zu trimmen, fing man
deshalb besonders bei Gewinden an, die schiefe Ebene in runder Gestalt zu normen. Diese
Gewindenormen haben sich im Prinzip bis heute erhalten – und weil früher viele Normierer am Werk
waren, gibt es auch heute noch einen ganzen Satz unterschiedlicher Normen für Muttern und Schrauben.
Die allergängigsten beschäftigen sich dabei mit dem, was in der westlichen Welt Verbreitung fand und
sich -gottlob- immer weiter ausbreitet.
Zöllige Gewinde
Im Gegensatz zur metrischen Welt gibt es auch das Universum der English-Speaker: Deren Einwohner
weigern sich teilweise bis heute, das Pariser Ur-Meter überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. In grauer
Vorzeit hatte diese Weigerung zur Folge, dass man auf der Briteninsel und allen Kolonien und
Strafkolonien mit Fuß, Zoll und Unze herumhantierte.
Und obwohl das Empire technologisch mittlerweile eher ein Schwellenland ist, hat sich das Messen mit
Zoll, Gallone und Pound bis ins 21. Jahrhundert erhalten, auch bei Gewinden. Allerdings tritt diese
zöllige Unsitte glücklicherweise immer mehr in den Hintergrund, so dass wir hier mit metrischem Maß
weitermachen. Sollte einem aber mal irgendwas unterkommen, was hinten und vorne nicht passt, so kann
es sich durchaus um „britisch Maß“ handeln und verlangt dann nach extra-Werkzeug oder einer
Umarbeitung.
Nicht-totzukriegende Vertreter von Zoll, Plumpudding und Beat-Musik grinsen einen heute in Form von
Rohrgewinden oder Gewinden an Fahrradteilen oder Fotoapparaten an. Insbesondere letzteres gibt einem wirklich Rätsel auf.
Außengewinde
Gewinde sind der Kitt der modernen Welt. Und dabei werden diese schiefen Ebenen auf
unterschiedlichste Art und Weise hergestellt, wobei man Außen- und Innengewinde unterscheidet.
Außengewinde findet man auf allem, was man in irgendein Innengewinde reindrallern kann und das sind
üblicherweise Schrauben, Bolzen und Gewindestangen. Diese Außengewinde kann man gießen,
schmieden, rollen, wirbeln, walzen, fräsen oder schneiden. Vermutlich kann man sie aber auch mit
Serviettentechnik herstellen. Die meisten Außengewinde in und am fahrbaren Untersatz werden dabei in
größten Stückzahlen gebacken und sind in aller Regel gerollt.
Dabei wird ein glatter Schraubenrohling mit passend geformten Werkzeugen und hohem Kraftaufwand
verformt, so dass das Ding nachher über ein genau maßhaltiges Gewinde verfügt. Diese spanlose
Verformerei hat neben der Tatsache, dass man Material spart, den großen Vorteil eines haltbareren
Gewindes. Die „Faser“ des Stahls wird nämlich nicht geschnitten, sondern nur gestaucht und bleibt
erhalten.
Eine solcherart hergestellte Schraube ist immer stabiler und bruchfester als eine geschnittene. Noch dazu
entstehen beim Schneiden von Gewinden oft mikroskopische Kerben, die sich bei Belastung oder
Überlastung zu einem soliden Dauerbruch ausweiten können.
Innengewinde herstellen
Innengewinde findet man in der weiten Welt vermutlich genauso oft wie Außengewinde. Irgendwie
logisch. Diese zahnigen Ebenen stecken in Zylinderköpfen, Schließzylindern, Babyflaschenwärmern oder
simplen Schraubenmuttern.
Im großindustriellen Maßstab werden Innengewinde ähnlich wie Außengewinde oft „geformt“ und nicht
geschnitten. So ein Gewindeformer besteht dabei aus speziellstem Kryptonit-Superstahl und verdrängt das
Muttern-Material. Weil dieses Verfahren erhebliche Kräfte erfordert, ist „Gewindeformen“ nix für den
Heimgebrauch.
Hier wird Gewinde meist spanend hergestellt. Spanend heißt, mit schneidendem Werkzeug.
Und das ist auch genau das, was man mit einfachem Werkzeug in Küche, Keller oder Werkstatt auch
leisten kann.
Gewinde-Bezeichnung
Bevor man sich nun mit rollenden Augen und Speichelfäden im Mundwinkel über saubere Bohrungen
hermacht, um sie mit Gewinden zu versehen, lohnt sich eine kleiner Exkurs in die Welt der
Gewindenormen. Wenigstens in die recht überschaubare Welt des metrischen Gewindes. Wie kaum anders
zu erwarten, gibt es nämlich unterschiedliche Größen und Macharten von Gewinde. Zu allererst
unterscheiden sich diese Passungen von Mutter und Schraube in ihrem Durchmesser. Die Benennung ist
dabei kurz und schmerzlos: M10 heißt schlicht „Außendurchmesser der Schraube ist 10 Millimeter“.
Peng.
Das große „M“ steht dabei nicht für fetttriefende Hamburger und Kulturimperialismus mit Clownsmaske,
sondern schlicht für „Metrisches Gewinde“, genauer: Regelgewinde. Dazu gibt es noch Feingewinde, das
sich in Steigung und Tiefe davon unterscheidet. Die Norm des Gewindes schreibt fest, wie die
Flankenwinkel der Zähnchen aussehen und um wie viele Millimeter sich eine Schraube rein- oder
rausbewegt, wenn man sie einmal herumdreht. Das Maß dieses Rein und Raus nennt man Steigung und ist
logischerweise genormt.
Für die genannten M10 gehört laut Tabelle z.B. eine Gewindesteigung von 1,5 Millimetern – immer und
überall. Parameter wie Flankenwinkel oder Rundung am Grund des Gewindes sind ebenfalls genormt und
machen keinen Ärger, wenn man sich mal auf ein bestimmtes „M“ eingelassen hat. Einzige Verwirrung
kann das verschwisterte Feingewinde stiften, dass ebenfalls diesen Buchstaben als Vorzeichen trägt.
Feingewinde
Feingewinde sind feiner als das normale metrische Gewinde. Das heißt, dass sie mehr Zähne pro
Zentimeter haben oder genauer gesagt, eine kleinere Steigung. Für das Beispiel M10 existieren dann
unterhalb der Regelsteigung von 1,5 Millimetern auch Steigungen von 1 und 0,5 und 0,25 Millimetern.
Korrekt ausgedrückt heißt letzteres M10x0,25.
Schraubt man an so einem Bolzen oder Stopfen oder Schräubchen herum, kommt es exakt einen lausigen
Viertelmillimeter aus dem Gehäuse, wenn man einmal (also 360°) kurbelt. Als Konsequenz dieser
Feinheit müssen mehr Gewindegänge auf den Umfang verteilt werden; und diese Zähnchen können nicht
so groß und tief sein.
Feine Feingewinde mit kleiner Steigung sehen filigran aus, sind nicht tief und häufig gemacht, um
sauberes Justieren von Schrauben und Bauteilen zueinander zu ermöglichen. Landet also mal eine
Schraube M8 oder M12 auf dem Tisch, auf die keine normale Mutter passt, handelt es sich in aller Regel
um Feingewinde. Mit nacktem Auge sind die unterschiedlichen Steigungen kaum zu unterscheiden – hier
hilft eine Gewindelehre oder das passende Gegenstück in Form einer Mutter.
Linksgewinde
Warum fast alle Gewinde rechts gedreht werden, entzieht sich unserer Kenntnis und hat seine Wurzeln
vermutlich in grauer Urzeit. Seit dieser grauen Urzeit gibt es aber auch Gewinde, die links gedreht
werden. Das sind üblicherweise Verschraubungen an Brenngasflaschen und -leitungen oder Gewinde an
sich drehenden Teilen.
Damit diese nicht aufgehen, wenn der Schraubenkopf irgendwo schleift, appliziert der Konstrukteur ein
Linksgewinde im Teil. Allermeistens macht der gute Mann das mit einem Körnerpunkt auf dem
Schraubenkopf oder einer Eindrehung auf der Mutter kenntlich. Und manchmal kann man sich auch
denken, dass hier oder da eigentlich Linksgewinde drinstecken müsste. Aber alle Jubeljahre schleicht sich
ein Linksgewinde an, dass – weil eingedreht – nicht als solches zu erkennen ist und keinen Ausweis auf
der Brust trägt.
Diese Biester bringen auch ruhige Gemüter schlicht zur Verzweiflung und der Versuch, sowas zu lösen
endet fast immer in einem Fiasko und einer Teilzerstörung des Werkstücks. Bei genauem Hinsehen ist der
AHA! – Effekt groß und ernüchternd.
Um alles wieder zu richten, benötigt man dann einen Linksrum-Gewindeschneider. Die gibt es auch, sind
aber ebenso selten wie Gewindeschneider in allen anderen exotischen Formaten. Und weil die Dinger den
normalen Kollegen so verflucht ähnlich sehen, sollte man sie weit weg und mit Sonderhinweis in einer
roten Extraschachtel aufbewahren, damit man nicht ein Woche später wieder bekloppt wird.
Welches Gewinde?
Gewindelehren haben die Form eines Schweizermessers und bieten eine üppige Auswahl verschiedener
Steigungen, wobei es mumpe ist, ob diese Steigung zu einem Gewinde M8 oder M16 gehört.
Hat man zu allem Unglück ein Gewinde auf dem Teller, auf das keine angebotene Steigung passt oder das
sonstwie merkwürdige Zahnformen hat, so kann es sich um Bewegungsgewinde, Rohrgewinde,
Edisongewinde oder weitere fürchterliche Unter- und Abarten handeln.
Ein stinkiges, metrisches Innengewinde herzustellen ist indes leicht, wenn man das passende Werkzeug
dazu hat. Wie das in der unmenschlich harten Praxis des autoschrauber.de-Vergnügungslabors aussieht,
zeigt die kommende Folge. Junge Damen, bitte dranbleiben!
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