Entlüftungs-Prinzip
Wir hatten das schon im Übersichts-Artikel: Das einfachste Verfahren, Luft aus dem Bremssystem zu treiben, besteht darin, die Bremsflüssigkeit durchzupumpen. Ob man hier schlicht „entlüftet“ oder das System durchspült, um das Bremsöl zu wechseln, ist egal – das einzige Hilfswerkzeug hierfür sind ein leerer Behälter und ein Schlauch. Bewegt wird die Glykolmischung dann ganz einfach mit dem Hauptbremszylinder; er drückt frische Bremsflüssigkeit Schluck für Schluck ins System.
Entlüfterventile kontrollieren
Vor der eigentlichen Arbeit kann jedoch ein Blick auf die vier Entlüfterventile an den vier Bremssätteln oder Radbremszylindern nicht schaden – schließlich soll die alte Bremsflüssigkeit genau an dieser Stelle das System verlassen. So ein Entlüfterventil ist eigentlich eine clevere Erfindung und besteht im Prinzip aus einer hohlgebohrten Schraube mit einer kegligen Dichtfläche am Grund. Diese Dichtfläche macht aus der Schraube ein Ventil: Lockert man die Schraube auch nur um eine halbe Umdrehung, kann die Bremsflüssigkeit durch den Spalt am Grund in das hohle Innere der Schraube fließen und dann durch den aufgesteckten Schlauch ins Auffanggefäß. Tadaaaa!
Diese an sich geniale Erfindung wird allerdings zum Sargnagel des Bremssattels, wenn sie über Jahre oder Jahrzehnte nicht bewegt wird. In dieser Zeit gammelt das wegen der Bohrung eh schon schwächliche Teil nämglich bombenfest und reißt zum Erstaunen des Betrachters bündig ab, sobald man daran dreht. Hurrah!
Vor der Entlüftungsprozedur empfehlen wir deshalb einen kurzen Versuch, die kleinen Lurche loszudrehen: Geht das nicht ohne viel Aufhebens, MUSS man die Entlüfterventile vorher lockern oder ersetzen. Als Geheimwaffe gegen das Festgammeln empfiehlt sich übrigens, eine Lage Teflonband um die Ventile zu drallern.
Hilfswerkzeug
Für das Entlüften mit Pedalkraft braucht es einen Schlauch und irgendein Auffanggefäß. Dieses Gefäß ist zur größten Not tatsächlich ein Senfkristall aus Mutters Küchenschrank. Dummerweise sind die Dinger zu klein, ziemlich zerbrechlich, haben keinen Deckel und auch keinen Haken zum Aufhängen.
Wer also häufiger an Bremsen herumlaboriert, landet irgendwann automatisch bei Bremsen-Entlüften-Behältern: Diese Dinger schlucken glatt einen Liter altes Bremsöl, sind dicht, können gefahrlos runterfallen und haben auch noch einen ordentlichen Silikonschlauch dran. Zudem können sie mit einem Haken irgendwo am Unterboden festgebammelt werden, falls das Auto mit einer Hebebühne angehoben ist.
Das Merkmal Silikonschlauch ist nicht ganz unwichtig: Klarsichtschläuche aus PE werden mit der Zeit spröde, trüb oder rissig.
Eine nettes Detail des gar nicht so teuren Patent-Behälters ist die Tatsache, dass man das lose Ende des Schlauchs elegant auf das freie Ende des Hakens stecken kann.
Hauptdarsteller Hauptbremszylinder
Abgesehen von ultramodernen Brake-by-wire-Systemen hat sich der Hauptbremszylinder in den letzten Jahrzehnten kaum verändert: Er wandelt die lineare Bewegung des Bremspedals in hydraulischen Druck um. Dazu bewegen sich in dessen Gehäuse zwei Kolben, die zwei Dinge gleichzeitig tun, sobald der Kraftfahrer auf die Bremse latscht: sie verschließen einerseits die Ausgleich- und Nachlaufbohrung und drücken andererseits Bremsflüssigkeit in die angeschlossenen Bremsleitungen zu den Radbremszylindern oder den ABS-Block. Dieses Verschließen der Ausgleich- oder Nachlaufbohrung (zum Ausgleichbehälter hin) ist wichtig – schließlich soll der gesamte Druck ja ins Bremssystem gehen.
Im Umkehrschluss sind alle Bremszylinder und der Ausgleichbehälter miteinander verbunden, wenn der Automobilist NICHT aufs Pedal steppt. Und aus diesem Grund läuft auch der gesamte Ausgleichbehälter leer, wenn man irgendeine Bremsleitung demontiert und nicht verschließt.
Hauptbremszylinder-Dichtung
Hauptbremszylinder sind mit Dichtungen nach außen und innen hin abgedichtet. Die inneren Dichtungen trennen dabei – je nach Bauform des Zylinders – zum Beispiel die beiden Druckräume der Bremskreise voneinander und sorgen dafür, dass keine Bremsflüssigkeit zurück in den Ausgleichbehälter fließt.
Nur logisch, dass sich hin-und herbewegte O-Ringe und Wellendichtringe (auf dem Kolben) im Laufe von Jahren und Jahrzehnten auf ihre Dichtflächen einarbeiten. Ehemals leicht raue Flächen im Zylinder werden dann spiegelblank und am Ende des Betätigungswegs kann sich ein kleiner Grat aufbauen.
Die Horrorvision all jener, die vom Pump-Entlüften abraten, ist deswegen durchaus nachzuvollziehen: Grat wird beim Pumpen überfahren, Dichtung geht kaputt, Hauptbremszylinder ist danach innerlich undicht.Was in der Theorie möglich ist, passiert auch in der Praxis. Ist aber ausgesprochen selten und vor allem bei Anlagen zu finden, die sowieso mit mangelnder Wartung (Wasser im Bremssystem) gequält wurden. Hier finden sich Korrosionsspuren in Form kleiner Pittings im Hauptbremszylinder. So ein Zylinder wird tatsächlich innerlich undicht und ist dann wegschmeißreif.
Ein gut gewarteter Hauptbremszylinder kann das Pump-Entlüften jedoch ab, auch wenn er viele Jahre auf dem Buckel hat. Wer sich nicht sicher ist, was das Ding noch taugt, macht einfach einen Drucktest.
Frische Flüssigkeit
Muss erwähnt werden, dass die Bremsflüssigkeit frisch sein muss? Frisch heißt in diesem Fall „aus einem verschlossenen Originalgebinde“. Und zwar deshalb, weil Bremsöl als Glykolmischung ungefähr so hygroskopisch ist wie der Papst katholisch. Lässt man das Zeug offen stehen, saugt es binnen weniger Stunden durchaus ein oder zwei Gewichtsprozent Wasser an. Das wiederum setzt den Siedepunkt herab und sorgt dafür, dass man bei der Passabfahrt mit glühender Bremsscheibe und heißem Sattel irgendwann -poff!- ins Leere tritt.
Verbrauchte Bremsflüssigkeit sieht dann trüb und dunkel aus, frische Mischung ist klar, hellgelb und erinnert an, na, wir wissen schon. Da das Zeug sowohl in den Zylindern als auch im Ausgleichbehälter altert, muss es auch aus diesem Behälter raus. Das geht am Einfachsten mit einer ordentlichen Spritze aus der Apotheke – Schlauch statt Kanüle aufstecken und absaugen. Das Schmutzfang-Sieb im Ausgleichgbehälter kann man für diese Arbeit getrost mit einer Spitzzange aus seinem Sitz ziehen, um den letzten Schluck vom Grund des Behälters rauszuschlürfen. Anschließend wieder reinstecken.
Ist die verbrauchte Lorke raus, füllt man das Behältnis mit frischer und passender Bremsflüssigkeit auf – bis zum Stehkragen. Schließlich wird im nächsten Schritt ja die Hälfte wieder durch die Anlage gepumpt.
Die zweite Frau
Nur sehr, sehr wenige Fahrzeuge sind so klein, dass die Spannweite beider Arme reicht, um das Bremspedal zu betätigen und gleichzeitig auch an den Entlüftterventilen herumzudrehen. Aus diesem Grund braucht für das Pump-Entlüften den zweiten Mann. Oder auch gern die Frau des Hauses, weil sich alle Männer merkwürdigerweise unter dem Vorwand unaufschiebbarer Wichtigkeiten dünn gemacht haben.
Hat man alle Entlüfterventile gecheckt, den Ausgleichgehälter entleert und wieder aufgefüllt und vor allem die Patent-Auffangwunderflasche bereitgestellt, kanns losgehen:
Während sich die Dame des Hauses auf dem Fahrersitz räkelt, kriecht der Herr der Werkstatt unter das Kfz, steckt den Schlauch auf das erste Entlüfterventil und öffnet es mit einer vielleicht halben Umdrehung. Anschließend der Schlachtruf an den Eherochen: „Pump it!“ – woraufhin die Dame das Pedal langsam bis zum Bodenblech durchdrückt und dort festhält.
Währenddessen läuft die alte Bremsflüssigkeit mitsamt Luftblasen durch den Klarsichtschlauch und plörrt gemächlich in den Auffangbehälter. Fließt nix mehr, liegt das Pedal auf dem Bodenblech. Dann das Ventil wieder schließen, Kommando „Fuß zurück“ und dasselbe Spiel wieder von vorn.
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Frisch befüllt und entlüftet
Die Bremsleitung und der betreffende Zylinder sind entlüftet und mit frischer Mischung befüllt, sobald die Bremsflüssigkeit klar, sauber und ohne Luftblasen austritt. Die Dame des Hauses hat jetzt Pause – der Mann von Welt drückt den Gummistopfen auf das offene Ende des Entlüfterventils, füllt den Ausgleichbehälter nach und robbt zum nächsten Bremssattel.
Die Reihenfolge dieses Kriechgangs unter dem Vehikel ist übrigens fast immer egal. Bremsleitungen zweigen typischerweise vom ABS-Block ab oder verlaufen direkt vom Hauptbremszylinder zu den Radbremszylindern. Schreibt der Hersteller in seiner Serviceliteratur eine strikte Reihenfolge vor, kann man sich natürlich gern daran halten.
Sind alle vier Räder verarztet, steht die Gegenprobe an und zeigt, ob sich noch Luft im System versteckt: Motor anwerfen, damit der Bremskraftverstärker läuft und herzhaft in die Bremse latschen. Pedal wieder loslassen und nochmal reinlatschen. Und nochmal.
Der Druckpunkt ist immer derselbe? Das Pedal steht „trocken“ immer an der gleichen Stelle und gibt nicht nach? Well done!