Zollstock und Messschieber
Wenn der „Senior“ vom Nachbarhof alle paar Jahre seinen Lanz-Bulldog in der zugigen Scheune bis auf die letzte Schraube zerlegt, um zu kucken, was das an seinem Eisenklotz so poltert oder klötert und alle Teile beweglichen Teile nachmisst, so kommt der Mann dabei vermutlich mit einem abgebrochenen Zollstock hin.
Mit Zollstock oder besser: Gliedermaßstab kann man mit viel Augenmaß durchaus auf einen halben Millimeter messen. Für einen Bulldog in dem meisten Fällen ausreichend, so kommt am 200D des Junior eher der Messschieber zum Einsatz: Wir hatten das schon, Schublehren, Schieblehren oder Messschieber sind, wenn man sie pfleglich behandelt, durchaus in der Lage, auf einen zwanzigstel Millimeter zu messen. Dafür sollte das Teil aber fein mit Ballistol versehen in seinem Lederetui ruhen und nur zu hohen kirchlichen oder weltlichen Feiertagen ans Licht geholt werden.
Geht man mit etwas mehr Eurogeld in den Laden, kann man Messschieber mit Digitalanzeige erstehen. Diese Digitalmessschieber sind eine feine Sache und messen in aller Regel wirklich auf ein Hundertstel Millimeter. Sie sind sogar in der Lage, ein wenig zu rechnen und erlauben Stufenmessungen. Mit so einem Messknüppel kann man alles, was in Haus und Hof an Messarbeiten anfällt, in aller Regel erledigen.
Bügelmesschraube
Soll ein Ergebnis aber wirklich genau sein, kommt man um den Erwerb einer Bügelmessschraube nicht herum: Diese Dinger fangen mit ihrer Genauigkeit da an, wo der Messschieber aufhört und erlauben, ein hundertstel Millimeter mit echter, verlässlicher Sicherheit zu bestimmen. Das kann der digalte Messprügel zwar auch, bietet aber keine Möglichkeit, die Tausendstel zwischen seinen Strichen zu erahnen: Eine Domäne der Messschraube.
Diese Genauigkeit im Hundertstel-Bereich braucht man in aller Regel dann, wenn man Motoren zerlegt und Wellenzapfen, Bolzen oder Kolben untersucht. Da können ein oder zwei oder drei Hundertstel über grad-noch-so-eben und wegschmeissreif entscheiden.
Wenn man die Kosten einer soliden Motorüberholung mit neuen Kolben, Kolbenbolzen und ggf. Wellen denkt, ist es ausgesprochen beruhigend zu wissen, dass die Teile, die man da ausgebaut hat, wirklich kaputt sind. Versenkt man nämlich ein paarhundert Euro in der tiefen Tasche des Ersatzteilhändlers, nur weil der hauseigene Messschieber krumm oder ungenau wurde, so bekommt der Besitz einer guten Bügelmessschraube eine ganz neue Dimension.
Größe
Mit Bügelmessschrauben verhält es sich wie mit allem auf der Welt: es gibt sie von klein bis groß, von schlecht bis gut und von billig bis unbezahlbar. In allererster Linie teilt man diese Schrauben nach ihrer Größe, d.h. nach ihrem Messbereich ein.
Die Abstufung der Messbereiche ist meist 0 – 25mm / 25 – 50mm / 50 – 75mm / 75 – 100mm /100 – 125mm etc. Im Maschinenbau gibt es zusammensetzbare Messbügel für Messbereiche jenseits der 2000mm – um so ein Teil zu bewegen, muss man zwei Kollegen von der Mittagspause wegholen.
Für das, was in Heim und Werkstatt anfällt, kommt man meist mit einem Satz von 0 – 100 mm aus; steht jedoch die Revision des frisch erworbenen U-Boot-Diesels an, so lohnt ein Blick in die Unterlagen dieses Geräts: In aller Regel ist die Zylinderbohrung oder vielmehr der Kolbendurchmesser das, was an maximalem Maß im Motor schlummert und gemessen werden will. Dass der Drehbankbesitzer oder Werkzeugfetischist natürlich nicht eher ruht, bis ein Satz 0 – 300mm im Schrank liegt, versteht sich von selbst.
Messwaren-Kombinat
Qualität und Preis stehen wie bei fast allen Werkzeugen in einer gewissen Relation zueinander. Während man für eine einfache, neue Bügelmessschraube von 0 – 25mm auf dem Flohmarkt um die Ecke vielleicht 15 Euro hinlegt, so kosten dieselben 0 – 25mm im Fachhandel womöglich 150 Euro. Himmelschreiende Ungerechtigkeit!
Schließlich ist die Flohmarkt-Schraube nagelneu, liegt einer klapprigen Holzschachtel und verfügt über ein Messprotokoll in russischer Sprache. Oder ist es ein Garantiezettel vom Messwaren-Kombinat Petropotowsk? Man weiß es nicht. Diese ostzonalen Meßschrauben sind günstig und für den, der alle Jahre mal seinen Lanz überholt, sicher die erste Wahl.
Man kann mit ihnen, nimmt man sich Zeit, Geduld und ein scharfes Auge, durchaus dasselbe messen wie mit den goldlaminierten Edelgeräten aus dem Fachhandel.
Flohmarkt vs. Industrie
Der nicht unerhebliche Preisunterschied zwischen Russenschraube und schweizer Präzisionsprodukt liegt nicht nur im Lohnniveau und dem schönen Blick auf die Alpen begründet, vielmehr unterscheiden sich beide Geräte in der Verarbeiteung und damit später auch in der Wiederholgenauigkeit. Diese Wiederholgenauigkeit ist das, was die Industrie dem Messwerkzeughersteller abnötigt und braucht, damit Golf und Passat in Wolfsburg nicht mit Kolbenfresser vom Endmontageband fallen.
Eine Edel-Schraube, die ein Vielfaches des sibirischen Nussknackers kostet, misst (solange sie in Ordnung ist) bei tausend Messvorgängen immer dasselbe. Heute, morgen und nächsten Monat. Das kostet und ist von einer einfach-Schraube nicht zu erwarten.
Namhafte Hersteller dieser feinen Geräte sind Hommel, Mauser, Mitutoyo. Daneben existieren zahlreiche No-Name-Marken und die besagten Ostblock-oder China-Geräte. Billig muss nicht schlecht sein (im heimischen Keller-Gebrauch), bietet aber nicht die Garantie, immer und unter allen Umständen auf Anhieb ein korrektes Ergebnis zu haben.
Damit das in großen Betrieben so ist, kommt in den Fachabteilungen alle paar Monate der Onkel aus der Prüfmittel-Abteilung vorbei und kassiert alle Mess- und Prüfmittel ein. In dieser Prüfmittel-Abteilung werden dann alle Messschrauben, Lehren und Maße mit anderen Lehren und Maßen verglichen.
Genauigkeitsklassen
Bei Messwerkzeugen und Lehren (die einen einzigen, festen Wert haben, der entweder passt oder nicht) gibt es nämlich verschiedene Genauigkeitsklassen. Diese Genauigkeitsklassen gehen quasi von „normaler Werkstatt-Gebrauch“ (Grad 2 oder 1) bis „Frisch vom Ur-Meter in Paris abgenommen“ (Grad 0 oder 00). Grad „00“ ist das feinste, genaueste und mit deutlichem Abstand teuerste. Man benutzt diese Maße ausschließlich, um andere Messgeräte zu kalibrieren.
Wenn also der Prüfmittelmann die Bügelmessschraube aus der Wolfsburger Motorenfertigung überprüft, tut er das, um zu kucken, ob das Ding bei 10,0000 Millimetern noch in der Toleranz von vielleicht 9,9950 bis 10,0050 liegt. Ist das so, wird die Plakette auf der Schraube erneuert und das Teil geht zurück ins Werk. Lässt sich der Wert aber nicht mit Sicherheit erreichen, so wird das Ding ausgemustert.
Ist die Lehrwerkstatt schon versorgt, so finden sich immer freundliche Hände, die so ein Messwerkzeug für kleines Geld mit nach Hause oder zu ebay schleppen. Bügelmessschrauben aus der Industrie stammen meist von Markenherstellern und sind, wenn man drankommt, erste Wahl. Vor der Inbetriebnahme steht natürlich eine genaue Untersuchung des Schmuckstücks.
Wie das geht und was man außer Nüsseknacken mit so einer Schraube anstellen kann, zeigt die nächste Folge. Lanz-Fahrer, bitte dranbleiben.
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Digital und noch genauer
Wer itunes mit der Hirndiode koppelt und Schneebesen mit Batterien ausrüstet, digitalisiert auch Bügelmessschrauben. Diese Geräte werden meist als Premium-Produkt der Traditionsmarken verkauft und tun ihren Dienst in aller Regel da, wo Messwerte in Serie genommen und vor allem protokolliert werden müssen. Sie sind deswegen oft mit Schnittstellentechnik versehen und übermitteln ihre Daten an irgendein Bussystem.
Die Hypergenau-Klasse solcher Schrauben tut das sogar bis auf 2 Tausendstel Millimeter genau und ist entsprechend teuer. Ob man so ein Gerät in der heimischen Werkstatt tatsächlich braucht, darf getrost hinterfragt werden; nur selten braucht man einen Messwert mit einer so dermaßen hohen Auflösung – und wenn, ist garantiert die Batterie im Nussknacker platt.
Wie man Bügelmessschrauben bedient, zerlegt und einstellt, zeigt die kommende Folge dieser Reihe.