Schleifen oder streicheln?
Lackierungen bestehen in aller Regel aus drei Teilen oder Schichten: Der Grundierung, dem Decklack und einer Schicht Klarlack. Ob man einen ganzen Samstag drangibt und das teure Fahrzeug komplett poliert oder nur einen Kratzer aus der Fahrertür raushaben möchte, ist einerlei: Polieren ist ein Verfahren, bei dem Lack entfernt wird.
Das ist vergleichbar mit Zahnputzmittel: Gewöhnlicher Zahnpasta ist eine gewisse Menge Schleifkörner oder Kreide beigemischt, die den Zahnschmelz als solchen nicht angreifen. Im Gegensatz dazu geht die Konsistenz Grinse-Zahnweiss dagegen jedoch eher in Richtung ATA. Genau deswegen sollte man das Zahnweiss-Zeugs auch nicht so oft verwenden, wenn man seine Zähne länger nutzen möchte.
Mit Autopolituren verhält es sich genau so. Die „Schruppkraft“ reicht hier von „Holzraspel“ bis „garnicht“. So kann man mit spezieller, grimmiger Politur sogar Farbnebel von ungewollt mitlackierten Teilen schleifen: Das ist definitiv nichts für alle Tage.
Eine komplette Politur des geliebten Fahrzeugs ist also nur alle Jubeljahre angesagt oder, um einen verwitterten oder matten Lack wieder in Schuss zu bekommen, weil mit Wachsen nichts mehr zu holen ist und man den Gang zum Lackierer scheut.
Der Gebrauchtwagenonkel von nebenan ist deswegen oft Meister der Komplettpolitur: Man staunt, wie ein vergimmelter Corsa nach einer Kanne Politur und ein paar Stunden unter der Poliermaschine aussieht.
Wenn man die Kiste vorher noch über die mit Sicherheit bevorstehende Verschrottung bemitleidet, laufen einem wenig später die Speichelfäden über das offenkundige Rentner-1.Hand-Todesfall-Schnäppchen aus dem Mundwinkel. Gut Poliert ist deswegen fast besser als schlecht lackiert.
Polituren
Bei kleinen Lackschäden, Kratzern, Vogelkacke oder Harzflecken ist Polieren in jedem Fall das Mittel der Wahl. Das funktioniert natürlich nur dann, wenn der Schaden nur die obere Lackschicht betrifft. Geht der Kratzer bis auf die Grundierung, hat Polieren keinen Sinn. Wir zeigen hier eine „Reparatur-Politur“, bei der ein solcher Kratzer aus dem Klarlack poliert wird. Eine Komplettpolitur verläuft sinngemäss und braucht einfach länger.
Diese Politur verläuft in drei Schritten. Im ersten Schritt wirde der Kratzer, oder vielmehr der Klarlack mit 2000er Schleifpapier beschliffen. Im zweiten Schritt wird der Kratzer mit einer Schleifpolitur behandelt.
Um das Ganze wieder glänzend zu bekommen, wird die Stelle anschließend mit Hochglanzpolitur bearbeitet. Diese Hochglanzpolitur enthält kaum noch Schleifmittel und wirkt noch ein wenig „rückfettend“.
Man benötigt also in jedem Fall zwei Polituren. Ob man von Hand poliert oder Muskelschmalz durch Atomkraft ersetzt, bleibt einerlei. Wenn man viel poliert (florierender Gebrauchtwagenhandel), lohnt sich die Anschaffung einer Poliermaschine.
Das sind im Prinzip Winkelschleifer, deren Motoren mit verringerter Drehzahl laufen. Es gibt auch Polierscheiben für die Handbohrmaschine – eine gute Alternative.
Kratzer und Brösel
Hier zeigen wir die Arbeit am Beispiel eines frisch lackierten Polos und eines SL´s mit Kratzer in der Fahrertür. Der Kratzer in der Fahrertür ist mit einem Lackstift hervorgehoben und geht bis auf den Decklack. Weil es viel Mühe machen würde, den Klarlack auf dieser ganzen Länge runterzupolieren, kann man auch mit gebotener Vorsicht Schleifpapier benutzen.
Beim Polo liegt das Problem ähnlich: irgendein Brösel hat sich in die Lackierkabine geschlichen und in der Klarlackschicht verewigt. Der Lack ist allerdings ofengetrocknet und schon ein paar Tage alt – ganz frischen Lack kann man im Übrigen sowieso nicht polieren, weil der Lack zu weich ist und schmieren würde. Vorsicht ist aber auch hier noch angebracht.
Leider sind Kratzer und Lack wenig fotogen. Für einen genauen Blick lohnt sich in jedem Fall die Grossansicht der Bilder.
Abkleben und Nassschleifen
Vor aller Arbeit muss die zu polierende Stelle sauber gemacht werden, weil schon einige wenige Sandkörner den Erfolg der Reparatur zunichte machen. Ob man das Fahrzeug durch eine Waschanlage dirigiert oder die Stelle mit lauwarmem Wasser und etwas Spüli wäscht, ist einerlei.
Anschließend klebt man die zu polierende Stelle grosszügig ab. Liegt der der Kratzer in der Mitte der Motorhaube oder Heckklappe, ist das nicht nötig. Ist aber Gummi oder Kunststoff in der Nähe, sollte man unbedingt abkleben:
Die Flecken eingetrockneter Politur gehen nur mit Kunststoffreiniger wieder raus. Hat man also Krepp und Prawda am Auto angebracht, nochmal mit einem weichen, fusselfreien Tuch drüber und los geht´s.
Der Fachhändler des Vertrauens bietet für solche „Spot-repairs“ eine Menge Hilfsmittel an. Vor allem die Schleifblüten, die man auf einen speziellen Halter heftet, sind sinnvoll, um nur eine ganz kleine Fläche zu bearbeiten. 2000er Nassschleifpapier, dass man über einen Sprudelflaschenverschluss zieht, tut´s aber auch.
Hier im Bild ist ein kleiner Druckluftschleifer zu sehen, mit dem die erste, grobe Schleifarbeit wunderbar schnell geht. In jedem Fall darauf achten, dass man immer nass schleift und sich keine Schleifläuse bilden. Also viel spülen und immer wieder kontrollieren.
Polieren von Hand
Möchte man auf Nummer sicher gehen, empfiehlt sich Schleifen von Hand. Das Schleifblatt immer wieder wechseln. Zum einen geht die Schleifwirkung des Papiers irgendwann flöten und zum anderen setzt sich das Papier zu: das spürt man nicht immer und ruiniert dann die Oberfläche.
Um immer viel Wasser auf der Oberfläche zu haben, stellt man sich am besten einen Eimer Warmwasser hin und tunkt das Schleifblatt öfters da hinein. Zum Abwischen der Lackoberfläche nimmt man einen möglichst neuen und vor allem sauberen Schwamm.
Ist der Kratzer oder Brösel jetzt futscht oder nur noch ganz blass sichtbar, kann man die Oberfläche abtrocknen. Der Lack sieht nun weiss und grausam zugerichtet aus. Jetzt ist die Zeit für die Schleifpolitur gekommen: Mit ihr glättet man die Oberfläche ein wenig und nimmt deutlich weniger ab als mit dem Schleifpapier.
Die Regale im Politurenladen sind voll mit verschiedensten Polituren – die unterscheiden sich in der Anwendung mitunter erheblich. Einige müssen trocknen, bevor man sie auspoliert, einige können nass poliert werden. Die Mehrheit hat rückfettende Anteile, damit der Lack nachher nicht mehr kreidig aussieht. Hochglanzpolituren sehen aus wie Kondensmilch oder süße Sahne; Einige Schleifpolituren sind auch fest und werden in Dosen verkauft. Im Zweifel deshalb immer erst lesen, dann polieren.
Schleifpolitur
Der Kratzer auf dem SL wird jetzt mit Schleifpolitur weiterbehandelt. Das Zeug wird mit einer Spritzflasche dünn aufgetragen. Könnte man auch mit einem sauberen Lappen machen.
Jetzt holt man die Schleifmaschine aus dem Schrank und zieht einen neuen Mop auf. Man setzt die Maschine erst auf die zu polierende Stelle und drückt dann den Abzug. Andersherum gemacht, fliegt die kostbare Politur durch die ganze Werkstatt. Wie bei allen Schleifarbeiten muss man die Maschine immer Bewegung halten. Zudem sollte man nicht oder nur wenig Druck ausüben.
Ansonsten wird die Stelle zu heiss und der Lack verbrennt – also immer wieder nachkucken. Wenn man nicht auf den Namen Schwarzenegger hört, ist diese Gefahr beim Polieren von Hand nicht vorhanden. Hier poliert man am besten mit Polierwatte. Gibt´s da, wo auch die Politur im Regal liegt.
Färbt sich der Mop oder der Wattebausch in Wagenfarbe, ist man auf der Decklackierung angekommen. Jetzt nur noch sachte weitermachen – danach kommen lediglich noch die Grundierung und das nackte Blech
Auf Hochglanz polieren
Die Stelle sollte jetzt einigermassen glänzen und der Kratzer oder Brösel sollte in jedem Fall verschwunden sein. Im letzten Schritt kramt man jetzt die Hochglanzpolitur raus und bearbeitet damit die Ex-Schramme.
Damit aber nicht nur die „reparierte“ Stelle in neuem Glanz erstrahlt und das restliche Auto alt aussehen lässt, sollte man für die letzte Salbung eine grössere Fläche auf Hochglanz bringen.
Dazu sucht man sich die nächste Fahrzeugkante und poliert bis dahin oder klebt bis dort ab. Bei Kotflügeln kommt man meist nicht drumherum, die ganze Fläche zu polieren.
Bei Hauben oder der Heckklappe meist auch nicht. Nur wenn Sicken oder Kanten in einer Fläche sind, kann man da absetzen und Arbeit sparen. Sind Kratzer oder Brösel jetzt getilgt, kann man sich zufrieden zurücklehnen und eine Dose Chantré aufreißen: Well done und viel Geld gespart!
Großer Nachteil einer solchen Radikalkur ist, dass der Lack jetzt deutlich dünner geworden ist. Außerdem liegen jetzt nicht ganz so harte Lackschichten oben.
Eine solcherart reparierte Stelle sollte deshalb fortan immer fein mit Wachs konserviert werden, damit sie nicht ständig wieder nach Politur schreit und zum Dauerpatienten wird.